[{"label":"Merz Fachkreisportal","isCategory":false,"categoryId":null,"href":"https:\/\/www.merz-fachkreise.de\/","isActive":false},{"label":"Merz Podcast","isCategory":false,"categoryId":null,"href":"https:\/\/www.merz-fachkreise.de\/merz-podcast\/","isActive":false},{"label":"Neurologie","isCategory":true,"categoryId":23,"href":null,"isActive":false},{"label":"Hepatologie","isCategory":true,"categoryId":24,"href":null,"isActive":true},{"label":"Dermatologie","isCategory":true,"categoryId":17,"href":null,"isActive":false}]

Experteninterview mit Professor Dr. med. Andreas Geier, Leiter Schwerpunkt Hepatologie der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums Würzburg

Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) weist als die hepatische Manifestation des metabolischen Syndroms eine steigende Prävalenz über die letzten Jahrzehnte auf. In Übereinstimmung mit der Prävalenz der Adipositas weisen derzeit 25-30% der Weltbevölkerung eine NAFLD auf. Die NAFLD umfasst ein Spektrum von Krankheitsentitäten mit unterschiedlicher Klinik und Prognose. Während die sog. „blande“ Steatose ohne entzündliche Komponente als nichtalkoholische Fettleber (NAFL) bezeichnet wird, tritt bei der nichtalkoholischen Steatohepatitis (NASH) eine hepatische Entzündungsreaktion mit Inflammation und hepatozellulärer Zellschwellung (Ballonierung) hinzu. Nur eine Minderheit von unter 20% der Patienten mit NAFL entwickeln im Verlauf eine NASH und von diesen entwickeln wiederum nur etwa 10-20% eine fortschreitende Fibrosierung, teils bis zum Endstadium der NASH-Zirrhose. Aus großen epidemiologischen Registerstudien ist gut belegt, dass primär die fortschreitende Fibrosierung prognostische Bedeutung für das Überleben hat. Das bloße Vorhandensein einer NASH dagegen hat nur einen sehr geringen Einfluss auf die Leber bedingte Mortalität, jedoch einen messbaren Effekt auf kardiovaskuläre Komplikationen im Rahmen des komplexen Zusammenspiels der verschiedenen Komponenten des metabolischen Syndroms. Aufgrund dieser gravierenden Unterschiede im klinischen Verlauf ist die frühzeitige Erkennung einer NASH mit fortschreitender Fibrosierung von wesentlicher Bedeutung, um eine rechtzeitige therapeutische Intervention in die Wege leiten zu können. Bis heute sind keine laborbasierten oder apparativen Biomarker etabliert, die eine verlässliche Früherkennung einer NASH bzw. einer beginnenden Fibrose erlauben würden. Etablierte diagnostische Algorithmen empfehlen neben der ultraschallbasierten Darstellung der Steatose die Verwendung von einfachen laborbasierten Fibrosescores wie dem FIB-4 Score, der einen relativ verlässlichen Ausschluss einer fortgeschrittenen Erkrankung in der klinischen Praxis erlaubt. Deutlich schwieriger ist es, die Patienten zu identifizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine fortgeschrittene Fibrose aufweisen und einer engmaschigen Verlaufskontrolle sowie Therapieintervention zugeführt werden sollten. Hier bieten sich aktuell vor allem verschiedene Verfahren der Elastografie an, insbesondere der am weitesten verbreitete Fibroscan. Die Tatsache, dass die große Mehrheit der Patienten mit Adipositas, metabolischem Syndrom und Typ 2 Diabetes eine Fettleber aufweist und Patienten mit NAFLD ihrerseits in etwa der Hälfte der Fälle zumindest einzelne Komponenten des metabolischen Syndroms aufweisen, zeigt die Notwendigkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit.

In westlichen Ländern ist die NAFLD die derzeit am stärksten zunehmende chronische Lebererkrankung. Auf der Transplantationswarteliste des nordamerikanischen UNOS Netzwerkes liegt die NAFLD bereits an oberster Stelle der verursachenden Grunderkrankungen und hat die chronische Hepatitis C-Infektion mittlerweile überholt. Mathematische Modellierungen gehen für Deutschland von einer abflachenden Zunahme der NAFLD Patienten bis 2030 aus. Nicht zuletzt aufgrund der Alterung der Bevölkerung zeichnet sich aber eine Verdoppelung der Patienten mit fortgeschrittener Leberfibrose oder Zirrhose ab. Entsprechend dürften die Komplikationen der NASH assoziierten Leberzirrhose wie z.B. die hepatische Dekompensation mit Listung zur Lebertransplantation oder das Auftreten eines hepatozellulären Karzinoms im nächsten Jahrzehnt stetig weiter zunehmen. Große Sorge bereitet hier sicherlich die heranwachsende Generation mit einem wachsenden Anteil an Adipositas bereits im frühen Jugendalter.

Die prognostizierte Zunahme der NASH assoziierten Leberzirrhose wird eine weitreichende sozioökonomische Bedeutung für unser Gesundheitssystem haben. Man darf davon ausgehen dass der Anteil stationärer Behandlungen aufgrund von Komplikationen der Leberzirrhose entsprechend zunehmen wird. Die hepatische Enzephalopathie (HE) ist neben der Entwicklung von Aszites sowie Komplikationen der portalen Hypertension ein wesentlicher prognostischer Prädiktor für den klinischen Verlauf dieser Patienten. Neben einem allgemeinen Leistungsknick ist vor allem die kognitive Einschränkung durch das Auftreten der HE von wesentlicher Relevanz für den Alltag der Patienten. Ähnlich wie NAFLD selbst wird auch die Diagnose der hepatischen Enzephalopathie häufig sehr spät gestellt. In diesem Zusammenhang interessant ist, dass es mittlerweile Hinweise gibt, dass L-Ornithin L-Aspartat als medikamentöse Therapieoption nicht nur einen günstigen Einfluss auf den Ammoniakstoffwechsel ausübt, sondern auch antioxidative Effekte und die Mikrozirkulation in der Leber unterstützen könnte.

Die wichtigste therapeutische Basismaßnahmen ist sicherlich die Gewichtsreduktion bei Adipositas. Der Zusammenhang der Gewichtsabnahme auf die Rückbildung der Steatose (3-5%), der Entzündung (5-7%) und der Fibrose (mindestens 7% des Körpergewichts) ist aus verschiedenen Studien gut belegt. Generell gilt eine mediterraner Diät als Therapie der Wahl zusammen mit einer Verhaltenstherapie und körperlichen Bewegungsprogrammen. Leider ist eine Gewichtsreduktion von mindestens 7% auch unter multimodaler Lebensstilintervention nur in etwa 10-20% der Fälle dauerhaft zu erreichen. Insofern wird bei der Mehrheit der Patienten, die eine dauerhafte Gewichtsreduktion nicht erreichen kann, eine medikamentöse Therapie unumgänglich sein – ähnlich wie wir das aus der Behandlung anderer Komponenten des metabolischen Syndroms kennen.

Bis heute gibt es keine zugelassene medikamentöse Therapie der NAFLD bzw. NASH. Einige der für Typ 2 Diabetes zugelassenen Medikamente weisen auch einen signifikanten Effekt auf die NASH auf und können bei entsprechender Indikation genutzt werden, so z.B. GLP-1 Analoga sowie SGLT2 Inhibitoren. Neue NASH-zentrierte Therapieansätze, die derzeit in klinischen Studien untersucht vielversprechend. Der wichtigste Aspekt ist dabei die signifikante Reduktion der prognostisch relevanten hepatischen Fibrose. In klinischer Entwicklung sind derzeit unter anderem Agonisten nukleärer Hormonrezeptoren (FXR und PPAR Agonisten), Chemokinrezeptor Inhibitoren, Agonisten des Schilddrüsenhormonrezeptors beta (THR-β) sowie Analoga verschiedener enterohepatischer Hormone (neben GLP-1 auch FGF 21). Derzeit dauern diese Studien in der klinischen Phase 3 noch an. Spannend ist auch die Frage, inwiefern alle Patienten mit relevanter NASH-Fibrose (Stadium F2 und 3) oder nur die Patienten mit dem unmittelbar höchsten Progressionsrisiko zur Zirrhose (F3) zukünftig eine spezifische medikamentöse Therapie erhalten sollten und ob eine solche Therapie auch im Zirrhosestadium noch günstige Effekte haben kann.

Vielen Dank, Herr Professor Geier, für das Gespräch.