Experteninterview mit Prof. Dr. med. Jens Marquardt, Direktor der Medizinischen Klinik I, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck.
Die MyHep®-App ist eine Smartphone-basierte Anwendung, die vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Lübeck entwickelt wurde. Mit ihr soll die Versorgungssituation von Patient*innen mit chronischen Lebererkrankungen durch kurze Kommunikationswege, Informationen und Selbstmonitoring verbessert werden.
Die MyHep®-Liver App ist eine Entwicklung meiner Klinik unter der Leitung von Frau Dr. Henrike Dobbermann in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Lübeck. Grundlagen für die Entwicklung waren die hohe Belastung des Gesundheitswesens durch steigende Prävalenzen bei Lebererkrankungen, insbesondere Leberzirrhose, und ein damit verbundener Anstieg krankheitsbedingter Komplikationen wie Aszites und hepatische Enzephalopathie. Als Folge davon und aufgrund mangelnder ambulanter Versorgungsstrukturen hat die Zahl stationärer Aufnahmen zugenommen. Wir wissen, dass die frühe Diagnosestellung die Prognose verbessert. Aber wir haben in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein wenig Möglichkeiten, die Patient*innen außerhalb der Sprechstunden handlungsfähig zu machen und über Selbstmonitoring und Report an die Ärzte die Versorgungssituation zu verbessern. Diese Grundlagen bilden im Endeffekt auch die Ziele der MyHep®-App. Wir wollen den Patient*innen etwas an die Hand geben, was sie handlungsfähig macht, womit sie sich informieren und Kontakt zu Behandler*innen aufnehmen, die eigene Erkrankung monitorieren und bei Bedarf agieren bzw. reagieren können.
Sehr wichtig ist, dass die App plattformunabhängig ist, damit jeder, der ein Smartphone besitzt, die Anwendung potenziell nutzen kann. Wir haben im Vorfeld der Entwicklung eine Umfrage durchgeführt, die zeigte, dass tatsächlich viele Patient*innen bei uns ein App-fähiges Smartphone besitzen und sehr viele eine solche App nutzen würden. Ein extrem wichtiger zweiter Punkt ist, dass die Informationswege der Patient*innen an uns kurz sind. Der Aufbau der App ist modular und individualisier bar. Es gibt ein Kalendermodul, in dem z. B. Termine eingetragen werden. Der/die Patient*in kann dann direkt Kontakt mit uns aufnehmen. Das gilt auch, wenn es Fragen gibt oder z. B. bei bestimmten Daten Abweichungen auffallen.
Der modulare Aufbau der App macht uns flexibel. So gibt es verschiedene Grundfunktionen wie Kalender, Informationen, Tagebuch und auswertbare Statistiken, die sich dann wieder in Unterfunktionen unterteilen. Wir legen gemeinsam mit dem/der Patienten/in Grenzwerte fest, z. B. für Ernährung, Gewicht und Frequenzen der Eingaben. Es ist keine reine Lifestyle-App, sondern eine für jede/n Patienten/in individualisierbare Anwendung. Eine weitere Besonderheit ist auch, dass wir gezielt auf die Komplikationen der Leberzirrhose eingehen. Wir haben Module entwickelt, mit denen z. B. die Konzentrationsfähigkeit getestet werden kann, der TIPP-Test. Ein einfach am Handy durchzuführender Test, der sehr gut mit den psychometrischen Standardtests wie z. B. PHES korreliert. Im Informationsmodul finden die Patient*innen Informationen zu den Erkrankungen und deren Komplikationen sowohl in verständlicher Textform als auch durch animierte kurze Clips.
Welche Vorteile hat die App sowohl aus Sicht der behandelnden Ärzt*innen als auch für Patient*innen?
Informierte Patient*innen gehen bekanntermaßen besser durch die Erkrankung. Der hohe Informationsgehalt der App und die Möglichkeiten der Selbstkontrolle sowie der Kontaktaufnahme zu Behandelnden wirken sich Adhärenz-steigernd aus. Dadurch können wir Komplikationen früher erkennen oder sogar vermeiden. Für die Patient*innen ist das wie ein Fallschirm! Für uns als Behandler*innen ist es vorteilhaft, dass Statistiken exportiert und ausgewertet werden können. Voraussetzung ist natürlich, dass der/die Patient*in sie geführt hat und damit einverstanden ist. Wir können mit diesen Angaben Richtwerte für die einzelnen Patient*innen anpassen bzw. neu definieren. Außerdem können wir Daten wissenschaftlich auswerten und ggfs. gewisse Muster erkennen, die wiederum für die Patient*innen genutzt werden können.
Aus den genannten Gründen bin ich sicher, dass die Patient*innen die App nutzen werden. Die Menü-Führung ist übersichtlich und die Anwendung lässt sich einfach in den Alltag integrieren. Unsere bisherigen Tests sind bei den Patient*innen überall gut angekommen. Zurzeit ist die App noch in der Entwicklungsphase.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Marquardt.