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Experteninterview mit PD Dr. med. Anton Gillessen, Chefarzt an der Klinik für Innere Medizin am Herz-Jesu-Krankenhaus in Münster und Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie.

Noch immer stellen uns SARS-CoV-2- Infektionen vor medizinische und gesellschaftliche Herausforderungen. SARS-CoV-2 kann nicht nur Lunge, Nieren oder Herz, sondern auch die Leber angreifen. Bei COVID-19-Erkrankten manifestieren sich häufig auch hepatische Schädigungen.

Pandemie Hinweise aus China auf eine Leberbeteiligung. Der ACE-2 Rezeptor, der bei COVID-19 eine Rolle spielt und in den Atemwegen und im Gastrointestinaltrakt vorhanden ist, findet sich auch am Gallengangsepithel. Demnach scheinen die Gallenwege an der Aufnahme des Virus beteiligt zu sein. Anfang 2021 erschienen die ersten Publikationen, die zeigten, dass sich das Coronavirus in der Leber vermehren kann. Die Transaminasenerhöhungen bei den Patienten erwiesen sich nicht nur prognostisch als Hinweis auf die Schwere der Infektion, sondern haben auch einen multifaktoriellen Background. So können die vielfach verabreichten leitliniengerechten Medikamente zur Therapie der COVID-Infektion hepatotoxisch sein. Demnach ist ein Teil der Leberbeteiligung auf ein DILI (Drug Induced Liver Injury) zurückzuführen. Deshalb ist es sehr wichtig, die Transaminasen GOT und GPT  im Verlauf der COVID-Erkrankung im Auge zu behalten.

Zwei Dinge haben wir in der Zeit der Pandemie feststellen müssen: Zum einen haben chronisch kranke Patienten ihre ärztlichen Kontrolltermine nicht wahrgenommen. Grund dafür war wohl die Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus in der Praxis oder Klinik. Zum anderen haben die Patienten ihre Medikamente selbstständig abgesetzt. Sie hatten Bedenken, dass die Arzneimittel den Verlauf einer Infektion ungünstig beeinflussen könnten.
In der Regel kam es dadurch nicht zu lebensbedrohlichen Situationen, aber der Verlauf der chronischen Lebererkrankung wurde nicht günstig beeinflusst. Eine schlecht eingestellte chronische Lebererkrankung wirkt sich auch ungünstig auf die Corona-Erkrankung aus.

Chronische Lebererkrankungen zählen zu den Vorerkrankungen, die den Verlauf einer COVID-Erkrankung ungünstigbeeinflussen können. Eine Studie aus Italien zeigte, dass die Mortalität bei Patienten mit chronischer Lebererkrankung durch eine Corona-Infektion mit 32 % wesentlich höher ist als bei Patienten ohne Lebererkrankung mit 8 %.
Ein COVID-Patient mit chronischer Lebererkrankung gilt als Risikopatient. Umso wichtiger ist es, Zirrhosepatienten engmaschig zu begleiten, früher als COVID- Patienten ohne Lebererkrankung stationär aufzunehmen und die antivirale Therapie möglichst früh zu beginnen.

Patienten mit chronischer Lebererkrankung leiden häufiger an Symptomen des Long-COVID, das nach schweren Krankheitsverläufen beobachtet wird.
Zu den frühen Symptomen zählt das Fatigue-Syndrom mit Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Abgeschlagenheit. Als Hepatologen kennen wir diese Symptome bei Patienten mit Leberzirrhose als milde Form der hepatischen Enzephalopathie (HE). Wir müssen bei Zirrhosepatienten mit diesen Symptomen nach COVID- Infektion, aufmerksam werden und differenzieren. Wir sollten in diesen Fällen vorsichtshalber eine HE-Diagnostik durchführen. Uns stehen einfache Tools wie der Zahlenverbindungstest oder der Liniennachfahrtest zur Verfügung, um eine HE nach COVID-Infektion zu diagnostizieren und rechtzeitig wirksam zu therapieren.
Meine wichtige Botschaft bei Patienten mit chronischer Lebererkrankung: Nach einer COVID-Erkrankung bei Auftreten von Symptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Antriebslosigkeit an eine HE denken.

Es gibt keine grundsätzlichen Kontraindikationen gegen die zugelassenen Behandlungsmöglichkeiten der HE bei COVID. Gerade im Falle der akuten Verschlechterung der HE im Krankenhaus-Setting hat sich die Therapie mit L-Ornithin-L-Aspartat (LOLA) bewährt, die wir intravenös und oral geben können.
LOLA ist für unsere Patienten mit chronischen Lebererkrankungen ein wesentlicher Baustein der HE-Therapie. Wenn Patienten in der Pandemie durch mangelnden Arztkontakt die Therapie von sich aus abgesetzt haben, dann ist es nicht verwunderlich, wenn erneut HE-Symptome auftreten. Hier ist die Aufmerksamkeit des behandelnden Arztes gefragt, die Symptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Konzentrationsstörungen rechtzeitig zu erkennen, der HE zuzuordnen und die Therapie wieder aufzunehmen.

Vielen Dank, Herr Dr. Gillessen, für das Gespräch.